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Tuesday 14 June 2011

Spaniens schönste Generation: Proteste in Madrid


An der Puerta del Sol in Madrid entdecken die Spanier ihre Solidarität. Die Schriftstellerin Eugenia Rico hat sich den Demonstranten angeschlossen und beobachtet, wie Tausende gebildeter Habenichtse die Vision eines neuen Spanien entwickeln. Ein Lagebericht.


Seit Mitte Mai versammeln sich jeden Abend Tausende meist junge Demonstranten im Zentrum von Madrid, um gegen die "politische Klasse" und deren Umgang mit der Wirtschaftskrise zu protestieren. Auch in den anderen Großstädten des Landes kam es zu ähnlichen Kundgebungen. Die Demonstranten protestieren gegen die extrem hohe Arbeitslosigkeit: Im ersten Trimester des Jahres waren mehr als 21 Prozent der Spanier ohne Job, fast die Hälfte der Menschen unter 25 Jahren hatte keine Arbeit.

Brauchst du eine Umarmung? Jeder, der Álvaro aufmerksam ansieht, wird Lust bekommen, ihn zu umarmen. Vielleicht trägt er deshalb ein Schild, das dazu einlädt. Álvaro ist Ingenieur, arbeitet aber als Werbezettelverteiler für eine Diskothek. Zusammen mit seinem Freund Alejandro, einem arbeitslosen Journalisten, steht er schon den vierten Tag auf dem Platz.

Hinter den beiden befindet sich ein Zelt, in dem Freiwillige müden Platzbesetzern Gratismassagen geben. Es gibt einen Rechtshilfe-Service, eine Gemeinschaftskasse, um eventuelle Kautionen für Verhaftete zahlen zu können, sowie ein Fundbüro und zwei Krankenstationen, die von arbeitslosen Pflegern und Ärzten betreut und mit Solarenergie versorgt werden. Eine Kinder-Bibliothek und einen kostenlosen Kindergarten gibt es auch. Überall auf dem Platz hängen Gedichte und überall sieht man Laptops und Tablet Computer. Putzbrigaden sorgen dafür, dass alles sauber bleibt.

Viele Polizisten sind zu Freunden geworden

In den letzten Tagen wurden Tausende von Blumen gebastelt, als Begrüßung, falls die Polizei uns angreifen würde. Jetzt steht die Polizei vor den Zeichnungen, den Papierblumen und den Büchern der Kinderbibliothek. Paco und Nuria, die beiden, die die Bücherei eingerichtet haben, machen Fotos davon, für den Fall, dass wir geräumt werden.

Viele der Polizisten, die jetzt auch viel Zeit auf dem Platz und seinen Nebenstraßen verbringen, sind zu Freunden der Bewegung geworden. "Es würde mir schon Spaß machen, zu euch zu gehören, aber ich muss halt meinen Job machen", sagte mir einer von ihnen. Wenn man hierher kommt, verspürt man sofort das Bedürfnis, etwas zu tun. Es haben sich verschiedene Arbeitsgruppen gebildet und es finden regelmäßig Versammlungen statt - dort wird über Megaphon gesprochen, pro Person nur eine Minute, hier lässt keiner sein Ego raushängen. Alle nehmen dich so, wie du bist, keiner fragt nach deinem Namen oder deinem Beruf.

Als ich an diesem Platz ankam, der nicht Plaza sondern Puerta del Sol heißt, weil er einer der Stadttore des alten Madrid war, wusste ich nicht, dass hier die erste spanische Verfassung ausgerufen wurde, und auch nicht, dass sie ebenfalls hier öffentlich verbrannt worden ist, als der Absolutismus wieder Einzug hielt. Über viele Jahre war hier das Hauptquartier des Sicherheitsministeriums, Ort der finstersten Verhöre von Francos politischer Polizei, damals wurde die Puerta del Sol deshalb "Plaza de los gritos" - "Platz der Schreie" genannt.

Woher kommt diese Hilfsbereitschaft?

Ich habe inzwischen einige Tage hier verbracht und in meinem Schlafsack auf dem Platz übernachtet. Man findet hier schnell Freunde, die einem einen Platz in ihrem Zelt anbieten. Manchmal erkennt mich jemand und macht ein Foto von mir oder umarmt mich - dafür, dass ich hier bin, nicht für das, was ich sonst so mache. Ich habe mich der Arbeitsgruppe "Umwelt" angeschlossen, zu der sonst fast ausschließlich Biologen und Ingenieure gehören. Es fällt auf, wie viele Menschen sich wirklich gut auskennen, eine hohe Bildung haben. In den Gruppen - andere Themenbereiche sind etwa 'Bildung' oder 'Respekt' - werden Vorschläge gesammelt, diskutiert, ausgearbeitet, abgestimmt und schließlich zu den großen Versammlungen weitergetragen. Man fühlt sich wie im Königreich des Konsens.

Alle helfen einander - ich weiß nicht, wo aus Madrid diese Leute herkommen und wo sie bisher gesteckt haben, in dieser Stadt, die sonst so feindselig ist, wo der Kampf um das alltägliche Leben die Leute unfreundlich macht. Hier entdeckt man, dass die Menschen einen immensen Bedarf haben, gut zu sein, den Menschen beizustehen, zu helfen, an etwas Teil zu haben, größer zu sein als die Massenmedien sie präsentieren. Die meisten sind schon seit über einer Woche auf dem Platz - und trotzdem riechen sie immer noch gut, weil viele Anwohner sie in ihren Wohnungen duschen lassen.

Jobs, schlimmer als Arbeitslosigkeit

Jeden Morgen bringt uns eine Gruppe älterer Frauen Taschen voller Essen, sie haben schon tonnenweise Lebensmittel gespendet. Ich kaufe mir mein Essen selber, aber es gibt einige, die diese Spenden gut gebrauchen können. Die Revolutionäre sind junge Leute und nicht ganz so junge Leute, viele von ihnen mit Universitätsbildung, zwar nicht alle arbeitslos, aber viele mit so schlecht bezahlten Jobs, dass es für sie schlimmer ist, als arbeitslos zu sein.

Sie sind die am besten ausgebildete Generation, die es in Spanien je gegeben hat, und die erste, die schlechter leben wird als ihre Eltern. Aber sie sind schön. Noch nie habe ich so viele schöne Menschen auf einmal gesehen. Ein Freund sagt, das liegt daran, dass diese Leute Fahrrad fahren, gesund essen und Bücher lesen. Sie haben also studiert, aber es bringt ihnen nichts ein, sie sind gebildet, aber es nützt nichts.

So ist den Spaniern eine Wut angewachsen, eine Empörung aus ihrem Innersten heraus mit dem Aufschrei gegen die Banken, die dir dein Haus nehmen, während du weiter die Hypothek abzahlst, gegen die korrupten Politiker, die das Land ausgeraubt haben, gegen eine Regierung, die den Banken mit Millionen ausgeholfen hat, aber für die Arbeitslosen nichts übrig hat. Es ist ein Verlangen nach dem Guten, eine Revolution der Ideen.

Die bei den Wahlen triumphierende konservative PP zeigt auf diese Bewegung als den Feind, den es zu schlagen gilt, die "sozialistische" PSOE macht sie für ihre eigenen Stimmverluste verantwortlich. Aber trotz aller Anschuldigungen, trotz der Gefahr der Müdigkeit und Erschöpfung in den eigenen Reihen, geht es hier weiter, und die Veränderungen, die bei den Anwesenden stattfinden, sind es allemal wert.

Das Volk ist schon so oft besiegt worden

"Sie repräsentieren uns nicht" ist der häufigste Ruf. Als ich den Slogan "El pueblo unido jamás será vencido" ("Das vereinte Volk wird niemals besiegt") hörte, habe ich eine Gänsehaut bekommen, weil das Volk schon so oft besiegt worden ist, auch auf diesem Platz.

Jetzt bewegt sich mein Leben auf dem Platz und um den Platz herum, seit einer Woche habe ich nichts geschrieben, was nicht auch etwas mit den Vorgängen auf dem Platz zu tun hätte. "Dichterlesungen ausgesetzt wegen Revolution" kann man im Blog einer befreundeten Dichterin lesen. Als Romanautorin höre ich nicht auf zu sehen und zu beobachten. Und so bleibe ich hier bei meiner Arbeit.

Übersetzung aus dem Spanischen: Marei Ahmia.
Publicado originalmente en la revista alemana
Spiegel del 28 de mayo de 2011.


1 comment:

Jutta said...

Sehr interessant.